Erschienen in „Chroma“, Birkhäuser Verlag 2009


„Rot macht high“

Rupprecht Geiger

Es hat schon viele Versuche gegeben, die Wirkung der Bilder von Rupprecht Geiger zu beschreiben. Sie seien gleichsam wie „sichtbar gewordene Radioaktivität“, hat einmal jemand geschrieben. Oft ist von „Kraftfeldern“ die Rede, von „Meditationsobjekten“ und einer „kosmischen Energie“, die von ihnen ausgehe. Man versinke in einen unbestimmten, unendlichen Raum, sagen andere. Offensichtlich ist Geigers Farbmalerei begrifflich schwer zu fassen. Eine schöne Analogie verwendete Thomas Wagner, der die Erfahrung des Betrachters vor diesen Bildern mit dem Blick in die Sonne verglich: Wer mit geschlossenen Augen direkt in die hochstehende Sonne schaut, also in die sonst nicht auszuhaltende blendende Helle, der wird gänzlich von Licht und Wärme durchdrungen und von einer unmittelbaren und intensiven Farbempfindung überflutet. Es ist, ähnlich wie bei Nachbildern, eine Art Erinnerungsbild, das man hinter den geschlossenen Lidern wahrnimmt, ein reines Farbensehen. Tatsächlich geht es Geiger um das Sehen als eine geistige Erfahrung. „Um Farbe wirklich zu sehen, muss man die Augen schließen und an sie denken“, schrieb er im Buch „Farbe ist Element“. Doch wie kann es gelingen, dass der Betrachter seiner Bilder mit geöffneten Augen Farbe als autonome, absolute Farbe wahrnimmt? Immer wieder, mit jedem Bild aufs Neue versucht Geiger, reine Farbe erscheinen zu lassen, die Farbe von der Form zu emanzipieren und aus allen Zusammenhängen zu lösen, und das seit mehr als sechs Jahrzehnten. Es gibt wohl keinen anderen Künstler, der sich so intensiv und so lange mit Farbe beschäftigt hat: „Mein Thema war von Anfang an die Farbe und nur die Farbe.“

Seine Malerei solle wirken wie ein Paukenschlag, wie ein Schock, sagt Geiger. Um die Energie der Farben zu steigern, experimentierte er schon in den fünfziger Jahren mit Tagesleuchtfarben und verschiedenen Techniken, die Farbe aufzutragen. 1952 war er einer der ersten Künstler überhaupt, der die neu entwickelten Tagesleuchtfarben einsetzte. Diese speziellen fluoreszierenden Farben leuchten bei Tageslicht deutlich stärker als gewöhnliche Farben. Sie geben mehr sichtbares Licht ab, als von außen einfällt, weil sie die für das menschliche Auge unsichtbaren Anteile des Tageslichts in längerwelliges Licht umwandeln. Eine aus der Werbung bekannte Signalwirkung, die Geiger ab 1965 noch verstärkte, als er dazu überging, die Acrylfarbe mit einer druckluftbetriebenen Spritzpistole fein aufzusprühen. So ergeben sich homogene, pudrig-matte Oberflächen, auf denen die Pigmentkörner frei zu liegen scheinen, als wären sie aufgestreut. Die Farbe scheint auf ihrem Träger zu schweben, sie flimmert, sie vibriert. Farbiges Licht strahlt ab und füllt den Raum zwischen Bild und Betrachter. Es ist, als würde sich die Farbe von der Materie lösen. Geiger geht zwar nicht so weit wie James Turrell, der tatsächlich ganze Räume mit immateriellem Farblicht flutet, aber auch er entwickelt Konzepte für monochrome Farbräume. „Eine geschlossene Raumkapsel, die innen leuchtrot angemalt und angestrahlt wird“, ist eine seiner Visionen. 1975 baute er für eine Ausstellung in Essen einen begehbaren Zylinder mit einem Durchmesser von drei Metern, innen mit Leuchtrot besprüht und indirekt beleuchtet. Hier soll man eintauchen können in die Farbe, sie aufsaugen und dabei Energie tanken.

Anfangs gab es noch viel Blau in Geigers Bildern, später dominierten dann die Gelbtöne, ab den siebziger Jahren Rot in allen Abtönungen: Karmasin, Pink, Magenta, Zinnoberrot, Kadmiumrot, Orange, Purpur, Rotviolett. „Rot ist die Farbe, Rot ist schön“, sagt Geiger. „Rot ist Leben, Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft. Rot macht high.“ Dazu hat Rot die beste Signalwirkung, seine Leuchtkraft ist stärker als die der anderen Farben, obwohl es hellere Farben gibt. Geiger konfrontiert kalte mit warmen Rottönen in seinen Bildern, hellere und dunklere, dichte und durchscheinende Schichten, um die Farbwirkung zu steigern, sie zu stimulieren. Und er sprüht zart ansteigende Farbverläufe innerhalb einer Farbe, die seinen Bildern Bewegung und eine ungewöhnliche Tiefe verleihen. Man kann durchaus auch eine landschaftliche Tiefe darin sehen, ohne dass dafür Formen notwendig wären.

Ohnehin erweisen sich Geigers Bilder im Vergleich zu anderer Monochrom- und Farbfeldmalerei als relativ offen für Interpretationen. Auch wenn der anonyme Farbauftrag, die künstlichen Tagesleuchtfarben und knallig-künstliche Töne wie Pink die Gegenstandslosigkeit betonen, lassen sie doch politische Anspielungen und Verweise auf Naturerfahrungen von Abend- und Morgenrot zu. Etwa auf die farbigen Erscheinungen der Atmosphäre, das farbige Licht über den Dingen, das Geiger als Kriegsmaler in der Sowjetunion und in Griechenland erlebte und das er als „geistige Materie“ auffasste. Selbst eine Anekdote, die er öfter erzählte, ist bezeichnend für seinen Umgang mit Farbe: Wie er kurz nach dem Krieg im zerbombten München ein „Ami-Mädchen in einem grellroten Pullover“ in einen Jeep einsteigen sah und ihn diese Farbe so tief berührte, dass er zu Hause den für seine Frau gedachten Lippenstift aus dem amerikanischen Care-Paket nahm und mit dieser synthetischen, hell leuchtenden Farbe zu malen begann. 1989 gab er einer Rauminstallation im Münchner Lenbachhaus sogar einen politischen Titel: „Neues Rot für Gorbatschow“. Ein querrechteckiges Format in fluoreszentem Pink vor einer Wand in gedämpftem Rot dient hier als Signal, als Zeichen für den neuen Geist der Perestroika. Geiger verwendet nur wenige elementare Formen, die nicht von der Farbe ablenken sollen oder, wie er sagt, einer bestimmten Farbe angemessen sind: das Quadrat und das quergelagerte Rechteck, die abgeflachte Kreisform und das Queroval, zum Teil mit einer gesprühten Aureole – und auch die verweisen etwa auf die Sonne mit ihrer expansiven Kraft.

Rupprecht Geiger, als Maler Autodidakt, ist Zeit seines Lebens ein Einzelgänger innerhalb der Kunstszene gewesen. Er bevorzugte den anonymen Farbauftrag und die Monochromie, als die subjektiven Gesten des Informel der Stil der Zeit waren. Und er ist bis heute bei seiner Farbmalerei geblieben. Vielleicht taucht er deshalb in vielen Überblickwerken der Kunstgeschichte gar nicht auf. Dabei sind seine grell aufscheinenden Tagesleuchtfarben und seine farbdurchfluteten Raumkonzepte heute für eine neue Künstlergeneration wieder interessant. Auch wenn es wohl keine direkten Bezugspunkte gibt, fallen die Tagesleuchtfarben in aktuellen Arbeiten von Anselm Reyle und Peter Halley auf. Und Olafur Eliassons „Weather Project“, die Installation einer künstlichen Sonne in der Londoner Tate Modern, kann man durchaus als einen ins Unermessliche gesteigerten Gedanken Geigers verstehen.

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