Erschienen am 17. September 2005
Die Liebe zu einem unpeinlichen Ort
Im Wohnzimmer der Münchner Subkultur: Das Baader Café feiert sein 20-jähriges Bestehen
Wie klein die Welt doch war, damals, 1985 – und so praktisch. Zuerst ging es immer in den Optimal Schallplattenladen in der Jahnstraße, bei dem es schon damals Independent Music zu kaufen gab. Dann die paar Meter weiter ins Baader Café, wo man all die anderen traf. Und nach drei, vier Bier wieder ein paar Meter die Fraunhofer Straße hinauf, in die Spätvorstellung im Werkstattkino oder gleich ums Eck ins Tanzlokal Größenwahn in der Klenzestraße. Das waren die vier Fixpunkte der Subkultur in München, die so bequem nah beieinander lagen - viel mehr alternative Orte gab es nicht in den achtziger Jahren. Und weil so vieles, was danach kam, von ihnen ausging, verwundert es auch nicht, dass - bis aufs Tanzlokal – alle immer noch da sind.
Es gibt Leute, die haben auf diesem engsten Raum inzwischen ihr?halbes Leben verbracht. Die sind heute noch Stammgäste im Baader Café, das jetzt sein 20-jähriges Bestehen feiert, ohne dass es sich in dieser Zeit wirklich verändert hat. Er freue sich, „wenn Leute von damals wiederkommen und sich wie zu Hause fühlen“, sagt Peter Nimmrichter, einer der vier Betreiber. Und das sind nicht wenige.„Wenn man hingeht, trifft man automatisch fünf Leute, die man von früher kennt“, sagt der Schriftsteller Georg M. Oswald. Es ist eine bestimmte Generation von Künstlern, Filmemachern, Autoren, Musikern und DJs, die im Baader Café aufgewachsen ist und aus der einige später groß herauskamen: der Filmregisseur Romuald Karmakar, der Schriftsteller Andreas Neumeister, der als DJ Hell bekannte Helmut Geier, Label-Chef Michael Reinboth, Anatol Nitschke, Chef der Produktionsfirma X-Filme, oder der Maler Florian Süssmayr, der jene Subkultur der frühen Jahre zum ersten Mal wieder an die Oberfläche geholt hat.
Jahre haben sie im Baader Café verbracht. „Das war der einzige Ort, wo man sich traf. Da gab es keine Wahl“, sagt der Schriftsteller Thomas Meinecke: „Vor allem war es der unpeinlichste Ort.“ Ein Café, dessen große Fensterscheiben ihm eine puristische, moderne Klarheit verleihen, das mit seinen Schulstühlen und den Weltkarten an den zitronengelb und violett gestrichenen Wänden aber auch so improvisiert und unprätentiös erscheint, dass es schon in den achtziger Jahren nicht ganz nach München passte. „Sonst waren die Kneipen so komisch gemütlich“, sagt Meinecke, „das Baader Café dagegen war spartanisch, kühles New Wave“. Etwas, was es bis 1985 nicht gab in der Stadt.
Der Musiker Bernd Hartwich weiß noch genau, wie er damals in die Baaderstraße fand: „Wir waren eine Gang, junge Menschen, die auf Rollern vorfuhren, Soul hörten und nicht wussten, wohin.“ Damals landeten sie in der Vorgänger-Bar, dem Bebop, das auf fünfziger Jahre getrimmt war und von dem noch die Stehtische und an der Decke die Lautsprecher in den Abflussrohren stammen. Später, sagt Hartwich, „ist dann das Baader unser Wohnzimmer geworden“. Ein Sammelbecken für mehrere Cliquen, die sich vor allem über die Bands, Fußballteams und Fanzines definierten, für die sie spielten und schrieben. „Da gab es strengste Zuweisungen und Abgrenzungen“ – so erinnert sich Helmut Geier, den es vor allem zum Fußball hinzog.
Heute, im Abstand von 20 Jahren, sieht es fast so aus, als hätte sich die subkulturelle Szene Münchens einmal aus ein paar Freizeitfußballmannschaften zusammengesetzt, die sich zwar nur einmal im Jahr trafen, um den Baader Cup auszuspielen, die aber ansonsten fast jeden Abend im Baader Café verbrachten: Beim FC/DC spielten - und spielen nach wie vor - ehemalige Punks und andere Leute aus dem Werkstattkino-Umkreis wie Nitschke, Karmakar und Süssmayr, die laut Motörhead hörten; zu Mähdrescher Mutterings gehörten Musiker der Merricks, aber auch jemand wie Helmut Geier; und dann gab es noch Fortuna Falsche Freunde, die Mannschaft von Markus Schütz, der seit ebenfalls 20 Jahren die im in München erscheinende Szene-Kolumne „Falsche Freunde“ schreibt – die immer noch regelmäßig im Baader Café spielt. „Biotop“ nennt er die Szene, die sich hier in den Anfangsjahren entwickelte. Ständig entstanden neue Bands wie Die Schlüssel oder die Politicians und Fanzines wie Mutterings, Ziegelbrennen oder 59to1. „Da hat dann die linke Seite des Tresens darüber geschrieben, was auf der rechten Seite passiert ist“, sagt Georg M. Oswald.
Szene-Café – mit diesem Zusatz vermerken Stadtführer das Baader seit 20 Jahren. Ein Begriff aus den achtziger Jahren, wie Meinecke findet: „Szene hieß damals noch so was wie Avantgarde.“ Für Florian Süssmayr waren es „Leute, die sich eigentlich nicht kannten, aber annahmen, dass sie auf derselben Welle schwimmen.“ Manche davon kenne er zum Beispiel „nur aus den Augenwinkeln“. Noch heute beobachtet Peter Nimmrichter Publikum, „das hierherkommt, weil es sich vorstellt, dass in einem Szene-Café etwas passiert. Die sind dann ganz enttäuscht, dass nichts passiert.“ Immerhin lassen sich noch Spuren aus der Geschichte der Münchner Subkultur finden: An den Wänden hängen Kunstwerke von Gästen wie der schwarze Vogel, den Andreas Hofer einmal nachts um drei auf eine Weltkarte gemalt hat, der „Planet der Affen“ von Michael Hauffen und Istanbul-Fotos von Martin Fengel. Hinter der Bar sind die alten Fußballpokale aufgereiht und darunter der Kassettenstapel, mit Mixtapes, die zum Beispiel Hartwich und Upstart aufgenommen haben. Einige werden seit 20 Jahren abgespielt.
Erst neuerdings, so Mitinhaberin Meike Will, kommt es vor, dass Leute fragen: „Könnt ihr die Musik leiser machen“ Irgendwie hat sich das Publikum verändert. „Früher“, sagt Will, „sind die Leute einzeln gekommen, und es haben sich Gruppen gebildet. Jetzt kommen mehr Pärchen.“ Auch die abendliche Traube vor der Bar ist kleiner geworden. Das Baader Café spürt die viele neue Konkurrenz im Viertel, für die es einmal Wegbereiter gewesen ist. Doch die Helden der achtziger Jahre, inzwischen alle zwischen 40 und 50, wollen ihr Wohnzimmer nicht aufgeben. Bernd Hartwich geht in letzter Zeit wieder öfter hin. Aus einem einfachen Grund: „Da weiß man einfach, was man hat.“